Seit „Wannacry“ und anderen Attacken aus dem Netz taucht immer wieder die Frage auf: Ist unsere Infrastruktur sicher vor Angriffen durch Hacker oder andere Einflüsse? Was passiert zum Beispiel, wenn nach einem Online-Angriff plötzlich flächendeckend der Strom ausfällt? Geht das überhaupt und was sind die Folgen?
Es ist drei Uhr nachts. Ein Nachtpförtner erhebt sich langsam seufzend von seinem Sessel und schnappt sich seine Taschenlampe. Noch eine Runde über das Firmengelände vor Feierabend. Gemächlich schreitet er am Zaun entlang. Hinter den Drahtmaschen erstreckt sich das nächtliche Tal. Ein helles Lichtermeer wie man es sonst nur an Weihnachten sieht. Der Pförtner mag diesen Ausblick. Von hier aus kann er die Lichtkegel gleich mehrerer Städte sehen. Gerade will er zurückkehren, da fällt ihm beinahe die Taschenlampe aus der Hand. Plötzlich ist das Tal von nächtlicher Schwärze verschluckt. Oben erstreckt sich nur noch der Sternenhimmel in ungewohnter Klarheit. Zappenduster. Licht aus. Das Stromnetz in Deutschland ist zusammengebrochen. Der totale Blackout. War es ein Kurzschluss? Ein Hackerangriff? Sabotage am Kraftwerk?
Zwei Kernkraftwerksblöcke dürfen ausfallen
„So ein Szenario halte ich für äußerst unwahrscheinlich“, sagt Dr. Thomas Weber, Leiter für Netzplanung bei Schneider Electric. Er arbeitet tagtäglich daran, Lösungen für jeden Kunden, der einen Netzanschluss braucht, zu finden. Und das in unterschiedlichen Größen und Bedarfen, vom kleinen Bürogebäude bis zum Flughafen, Industriekunden oder Energieversorger. Schon in seinem Studium zum Dipl. Ing. in Fachrichtung Elektrische Energietechnik hat er sich mit Netzen beschäftigt. Wenn sich also jemand mit Stromnetzen auskennt, dann er. „Das Europäische Verbundnetz ist darauf ausgelegt, einen Ausfall von bis zu 3.000 Megawatt auszuhalten. Das ist ziemlich genau die Leistung zweier Kernkraftwerksblöcke“, erklärt Weber. So einfach scheint es also nicht, das Stromnetz, zumindest deutschlandweit, komplett auszuschalten.
„Beim Hacking, da machen wir uns nichts vor, sind wir meist einen Schritt hinter der kriminellen Energie. Die können auch lokal Schaden anrichten. Aber letztendlich gibt es neben der digitalen Infrastruktur genügend Sollbruchstellen in den Schaltanlagen, um Ausfälle eingrenzen zu können“, so Weber. Sollte es beispielsweise durch Überschwemmungen, Sturm oder Erdbeben zum Katastrophenfall kommen und das Netz doch mal teilweise zusammenbrechen, werden Kraftwerke sogar vom Netz abgekoppelt. Diese Kraftwerke können dann dazu genutzt werden, das Netz möglichst schnell wieder hochzufahren, während andere noch mit dem Ausfall zu kämpfen haben. Gebäude, in denen eine 100-Prozentige Stromversorgung sichergestellt werden muss, wie in Krankenhäusern oder wichtigen Behörden, würden im Falle eines Blackouts sowieso die Notstromgeneratoren anlaufen, um die „Erstversorgung“ mit Strom sicherzustellen.
Alle Systeme auf Inselbetrieb
Zurück in unserem unmittelbaren und unwahrscheinlichen deutschlandweiten Stromausfall. Der Pförtner kratzt sich am Kopf. Das gibt es doch gar nicht! Er schaut hinab ins Schwarze. Die einzige Lichtquelle bleibt seine Taschenlampe. Doch plötzlich, in weiter Ferne, erscheint ein Licht am Boden. Erst eines, dann mehrere. Schließlich leuchtet eine kleine Insel Licht in der Dunkelheit des Tals. Das Schild einer Tankstelle ist von weitem zu erkennen, ebenso die Lichter eines Krankenhauses sowie mehrerer Wohnblöcke. Ein Teil eines einzelnen Stadtwerks hat sich offenbar in den Inselbetrieb geschaltet.
Ein Miniaturstromnetz, das unabhängig vom Hauptnetz läuft, ist tatsächlich möglich. Ein einzelnes Stadtwerk, welches sonst von einem großen Energieversorger mit Energie versorgt wird, kann sich mit den richtigen Voraussetzungen mit kleinen Teilen auf Inselbetrieb schalten. „Der Kollege von den Stadtwerken fährt dann mit dem Dienstfahrrad herum und bereit das kleine Netz vor“, erklärt Weber, „Da nutzt die Stadt zum Beispiel kleine Blockheizkraftwerke mit einer sogenannten Inselnetzfähigkeit. Das heißt, die können alleine arbeiten, ohne das große Netz drumherum.“ So kann mit autarken, kleinen Kraftwerken ein Stück der Grundversorgung erhalten bleiben. Für bis zu drei Tage könnte so ein Netz laufen. „Das bedeutet für ein Industrieland trotzdem eine extreme Krisensituation“, sagt Weber. Was genau versorgt wird, müssen die Stadtwerke entscheiden. Das Krankenhaus muss versorgt werden, aber wie sieht es bei der Tankstelle oder einer Bank aus? Muss beim Bürgermeister das Licht brennen?
Stabilere Netze dank intelligenter Steuerung
Mit der Energiewende bewegen wir uns immer mehr in die Richtung von vielen kleinen, dezentralen Kraftwerken, beispielswese Windräder oder Photovoltaikanlagen. Wird unsere Stromversorgung also sicherer, wenn wir die Möglichkeit zu vielen kleinen, autarken Netzen haben? „Bei sehr vielen sehr kleinen Kraftwerken hat man den Nachteil, dass sehr viel geregelt werden muss. Dennoch, wenn man das ordentlich organisiert, kann so eine Dezentralisierung tatsächlich stabilisierend wirken.“ Für intelligente Netze und eine zuverlässige Kommunikation baut Schneider heute schon die passenden Komponenten. Eine Chance für die Zukunft.
Wohin geht die Zukunft?
Weber kennt sein Themengebiet und es wird ihm auch nicht langweilig: „Mein Team und ich ziehen eine Menge Motivation aus sehr interessanten Aufgaben und spannenden Kunden, bei denen wir merken, wie viel wir helfen können.“ Er arbeitete schon als technischer Berater und in einem Forschungsinstitut für industrienahe Forschung. Im Jahr 2001 kam er schließlich in die Abteilung Netzplanung, die heute zu Schneider Electric gehört. Aufgrund seiner Erfahrung neigt er heute zu einem gewissen Konservatismus. „Die Frage der Zukunft wird sein, wie weit wir uns auf die digitalen Steuerungssysteme verlassen und wie viel über die Primärtechnik gesteuert werden kann“, sagt Weber. „Das ist wie im Auto. Jedes Auto hat heute einen Bremskraftverstärker, der dafür sorgt, dass ein Auto schneller zum Stehen kommt. Wenn der einmal ausfällt, hat man ein Problem. Übertragen auf ein Stromnetz würde das bedeuten, dass wir das Netz auch ohne Bremskraftverstärker noch bremsen können sollten. Als Plan B sozusagen. Die Frage ist, ob man ihn bei der Stromversorgung beibehält.“ Webers Tipp: „Man sollte sich nicht ausschließlich auf die digitalen Steuerungen verlassen.“
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