Deutschland will in Zukunft voll auf erneuerbare Energien setzen. Dafür bedarf es ganz neuer Ansätze, denn der Strom aus der Steckdose kommt nicht mehr aus ein paar wenigen Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken, sondern aus tausenden kleiner Anlagen – denken wir nur mal an die Solarzellen, die das Dach des Nachbarn schmücken. Wie sich der Strom und der Verbrauch organisieren lassen? Das Stichwort heißt dezentrale Energieversorgung.
Paul Röger, Projektmanager im Business Development bei Schneider Electric, geht zu Fuß zur Arbeit. Seine Arbeitsstelle bei „Inno2grid“ auf dem EUREF-Campus ist nur wenige Schritte entfernt. Röger war als Projektleiter mitverantwortlich für die Schaufensterprojekte am EUREF-Campus und am Bahnhof Südkreuz in Berlin für die Zukunft der Elektromobilität. In beiden Projekten werden Photovoltaikanlagen, Ladestationen und Trafos für eine intelligente Nutzung miteinander gekoppelt, um eine nachhaltige und dezentrale Versorgung von Elektroautos zu ermöglichen. In einer Kooperation zwischen den französischen und deutschen Teilen von Schneider Electric wurde hier eine Lösung für die Elektromobilität der Zukunft entwickelt. Diese wurden im Verbundprojekt mit universitären und industriellen Partnern in Form eines Micro Smart Grids und einer intelligenten Mobilitätsstation integriert.
Genug Strom für die Weihnachtsgans?
Diese vom Bund geförderten Schaufensterprojekte können jedoch nur der Anfang für die zukünftige Energieentwicklung Deutschlands sein. „Bei Strom ist es heute so, dass immer genug elektrische Energie in Form von Flexibilitäten vorgehalten wird, um alle Nutzerbedürfnisse bedienen zu können“, erklärt Röger, „Auch Heilig Abend, bei minus 20 Grad, kann ein Ofen für die Weihnachtsgans durchlaufen. Egal wie das Nutzungsverhalten ist: Im Kraftwerk wird einfach, im wahrsten Sinne des Wortes, noch eine Kohle drauf gelegt.“ In Zukunft wird es mit den regenerativen Energien viel schwieriger werden diese Reservekapazität bereitzuhalten. Energiespeicher werden benötigt, ebenso wie eine intelligente Steuerung. Beispielsweise sollte, während die Weihnachtsgans im Ofen ist, nicht auch noch das Elektroauto laden. Vielleicht muss sogar Strom aus dem Auto zurückgespeist werden, damit genug für den Ofen da ist.
Beim Ausmalen einer dezentralen Energiezukunft ist Paul Röger eines wichtig: „Dezentral bedeutet nicht autark zu sein.“ Eine Stadt wie Berlin kann sich nicht komplett selbst mit Energie versorgen. Zwar soll so viel Energie wie möglich vor Ort erzeugt und verbraucht werden, aber es sollte auch Energie vom Land, beispielsweise aus Windparks, in die Stadt fließen. Das ist die große Krux an der dezentralen Energieversorgung: Für eine verlässliche Versorgung muss der Verbrauch organisiert werden.
Daten, Daten, Daten
Für eine zuverlässige Organisation braucht es vor allem Daten und Datensicherheit. „Das sind auf der einen Seite die Verbrauchsdaten von Nutzern in Gebäuden oder E-Mobilität“, erklärt Röger. Wie viel fahren die Leute mit den E-Autos? Wie viel Strom braucht das Fahrzeug, wenn es wieder an der Station liegt? Läuft der Ofen mit Weihnachtsgans? Und wie lange läuft in der Regel die Heizung? „Auf der anderen Seite bedarf es zum Beispiel Wetterdaten. Wenn sich ein schöner Tag mit herrlichen Sonnenschein ankündigt, sollte eine Batterie den Abend zuvor leer sein. Schließlich soll sie möglichst viel Energie aufnehmen können.“
Um den dezentralen Gedanken zu Ende zu denken, sollte man nicht nur elektrische Energie in Betracht ziehen. Mit Wärmepumpen kann heutzutage höchst effizient Strom in Wärme umgewandelt werden. Eine optimale Möglichkeit, um Überkapazitäten zu nutzen, wenn zum Beispiel mehr Wind weht, als Strom aus Windkraftanlagen verbraucht werden kann. Auch große Netzspeicher sind eine Alternative. „Vielfach ist heute ein Problem der Speicher, dass die Last nicht gut planbar ist“, so Röger, „Das ist die Herausforderung.“ Wo wir wieder bei den Daten wären.
„Form folgt der Funktion.“
Wie sähe also für einen Experten wie Paul Röger das optimale Szenario aus, um dezentrale Energieversorgung zu organisieren? Welche Voraussetzungen braucht man, um erneuerbare Energien, Verbraucher, Speicher und Daten sinnvoll zu kombinieren? „Gute Frage!“, lacht Röger, „Das zu beantworten ist im Prinzip meine tägliche Arbeit.“ Sein Job ist es, Investoren von Arealen oder Gebäuden im Hinblick auf dezentrale Energieversorgung zu beraten. „Dezentral wird da zum Erfolgsfaktor, wo es nicht auf die Energieversorgung beschränkt wird“, so Röger, „Wenn man gesamtheitliche Konzepte für Areale, also Wohnquartiere oder ein Unternehmensstandort, erstellt und wo man auch Menschen trifft, die sich mit Energieversorgung auseinandersetzen wollen.“ Es kommt also darauf an, vorher zu wissen, wie das Nutzungsszenario aussieht. Also wie die Menschen dort leben, arbeiten und Strom verbrauchen. „Darauf baut man dann Schaltanlagen, Transformatoren, Produktionsanlangen, etc. oben auf, die sich nach den Nutzerdaten und dem Betriebsverhalten richten. Die Form folgt der Funktion“, fasst Röger zusammen.
Vom Praktikanten zum Projektleiter
Schlecht dagegen sind standardisierte Lösungen. Das Geheimnis einer dezentralen Lösung ist, dass sie individuell an die Gegebenheiten angepasst wird. Rögers Spezialgebiet. Seit 10 Jahren ist er nun schon bei Schneider Electric, und das obwohl er erst 30 Jahre jung ist. Begonnen hat alles mit einem Praktikum. Das Aufgabengebiet und die Themen haben so gut gepasst, dass sich Röger dazu entschied, ein duales Studium zu beginnen. Im Betrieb erhält er die Ausbildung zum Elektroniker sowie sein Diplom in „Elektrotechnik elektrische Energietechnik“. Schon während seiner Ausbildung erhält Röger Einblicke in konkrete Projekte, ist auf Baustellen, in Umspann- Kraftwerken und InfrastrukturanlagenNach Ausbildungsende kann er so direkt als Projektingenieur einsteigen.
Langsam wächst seine Verantwortung von Basisaufgaben hin zum ersten großen Projekt: Die Verbindung eines Umspannwerks mit einem großen Solarpark bei Schwerin. So wird Röger nach und nach zum Experten für dezentrale Energieversorgung und steigt schließlich im Schneider Electric Startup „Inno2Grid“ als Projektleiter ein. Sein Aufgabengebiet: Individuelle Lösungen der dezentralen Energieversorgung finden. „Der Job macht mir super viel Spaß. Im Prinzip jeden Tag. Tatsächlich sehe ich mich auch als Botschafter und erzähle Freunden gerne, was sich in der Versorgung ändern muss“, sagt Röger, „Das ist auch eine tolle Sache, dass es eben nicht nur arbeitsmäßig interessant ist, sondern auch so viele Leute umtreibt: Was braucht man für Technik, um zukunftssicher zu werden?“ Eben, weil der Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt.
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