Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist unter Historikern ein bekanntes theoretisches Konzept. Dabei geht es um die Beobachtung, dass technischer oder gesellschaftlicher Fortschritt meist nicht in allen Branchen oder Milieus synchron, sondern immer mit je eigenen Geschwindigkeiten verläuft. Wir leben zwar alle im selben Hier und Jetzt, aber häufig in verschiedenen Welten.
Ein gutes Beispiel für diesen Befund liefert die gegenwärtige Automatisierung. Der hier identifizierbare Anachronismus tritt insbesondere dann zutage, wenn man das „Was“ (die Technik) mit dem „Wie“ (die Art und Weise) vergleicht. Denn keine Frage, die technologischen Möglichkeiten, etwa in den Bereichen Robotik oder KI, sind heutzutage immens. Einer perfekt laufenden Maschine dabei zuzuschauen, wie unzählige feingliedrige Mechaniken mit höchster Präzision ein kompliziertes Produkt anfertigen, ist zweifellos faszinierend.
Gleichzeitig (oder besser gesagt ungleichzeitig) ist es aber auch so, dass sich die grundlegende Art und Weise des Automatisierens seit über 50 Jahren nicht mehr verändert hat. Während Branchen wie die IT bahnbrechende Entwicklungen hinter sich haben, ist das mit Erfindung der SPS etablierte Grundprinzip der Automatisierung völlig unverändert geblieben. Auch bei der Automatisierung heutiger Maschinen findet es in Form der IEC61131 nach wie vor seine Anwendung. Kein Problem, könnte man sagen, wenn es doch funktioniert!?
Die Grenzen der Automatisierung
Und ja, auch die moderne Automatisierungstechnik lässt sich mit den Mitteln einer steuerungszentrierten Automatisierung gekonnt in Szene setzen. Das ist richtig. Aber, und das gehört ebenfalls zur Wahrheit, nur wenn ein immenser Aufwand betrieben wird. Ein zeitlicher und finanzieller Aufwand, der angesichts der heute zur Verfügung stehenden Mitteln eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist – und Maschinenherstellern wie Endanwendern bedeutende wirtschaftliche Vorteile nimmt.
Das Problem heißt proprietäre Systeme. Diese sind charakteristisch für einen steuerungszentrierten Automatisierungsansatz und sorgen dafür, dass Steuerungssoftware und -hardware herstellerspezifisch aneinander gebunden bleiben. Der Interoperabilität von Steuerungskomponenten sind damit äußerst enge Grenzen gesetzt. Zwei Steuerungen von unterschiedlichen Anbietern können entweder gar nicht oder nur mit erheblichem Aufwand zu einer Zusammenarbeit bewegt werden. Außerdem lassen sich einmal programmierte Softwareanwendungen nicht für die Speicherprogrammierbare Steuerung eines anderen Herstellers oder einer anderen Generation wiederverwenden. Ein Umstand, der sich etwa beim Engineering von Maschinen, aber auch im Fall von Umrüstungen oder Upgrades im Feld extrem negativ bemerkbar macht.
Anders Automatisieren
Aber Automatisieren geht auch anders. Bereits im Jahr 2005 wurde mit der IEC61499 eine Norm definiert, die in nahezu prophetischer Manier die modernen Anforderungen wandelbarer und vernetzter Maschinen des IIoT-Zeitalters vorausgeahnt hat. Die Abhängigkeit von proprietären Systemen wird darin aufgelöst und die Software von der Hardware entkoppelt.
Im Gegensatz zu IEC61131 wird in IEC61499 ein Ansatz vorgeschlagen, bei dem die Steuerungslogik nicht länger Sache eines zentralen Controllers ist, sondern die Programmstrukturen frei auf sämtliche CPUs und Feldgeräte mit integriertem Prozessor aufgeteilt werden können. Gemäß IEC61499 wird dabei kein zyklisch-orientierter, sondern ein objektorientierter Automatisierungsansatz verfolgt, bei dem mit herstellerunabhängigen und für andere Projekte leicht wiederzuverwendenden Softwareobjekten gearbeitet wird.
Diese Softwareobjekte, sogenannte Funktionsblöcke, bilden je nach Bedarf entweder die Funktionsweise einzelner Devices – zum Beispiel einen Motor – oder auch zusammenhängende Anwendungen – zum Beispiel eine ganze Abfüllanlage – ab. Dass die Funktionalität in einem Softwareobjekt gekapselt werden kann, schon bevor der Engineering-Prozess beginnt, hat zur Folge, dass sich die Arbeitsschritte Programmierung und Engineering nun deutlicher voneinander unterscheiden. Insbesondere das Engineering (für den Anwendungs- oder Projektingenieur) gestaltet sich erheblich einfacher. Zusätzlich wird die herstellerunabhängige Wiederverwendbarkeit der Softwareobjekte – und damit das weniger fehleranfällige Engineering – dadurch erleichtert, dass bei IEC61499 keine globalen Variablen zur Anwendung kommen.
Runtime und Buildtime
Vereinfacht gesagt wird mit der IEC61499 also möglich, was in der IT-Welt schon längst der Standard ist. Solange einzelne Komponenten mit CPU ein gemeinsames Betriebssystem teilen, lassen sich sämtliche für dieses Betriebssystem entworfenen Anwendungen völlig unabhängig von der eingesetzten Hardware nutzen (entscheidend für die Auswahl der Hardware ist damit nur die Funktionalität und nicht der Hersteller). Ein Funktionsbaustein für eine Waagen- oder Pumpen-Anwendung kann in diesem Sinne einmal programmiert und dann per Plug-and-Produce in jede beliebige Anlage eines beliebigen Herstellers implementiert werden. Da die Software somit nicht länger an eine spezifische SPS-Steuerung gekoppelt bleibt, sondern auch für neue Generationen oder Modelle anderer Hersteller wiederverwendet werden kann, reduziert sich der Aufwand bei Hardware-Upgrades immens.
Um die Verbreitung eines gemeinsamen Betriebssystems für Automatisierungskomponenten weiter voranzutreiben, wurde Ende 2021 die unabhängige Non-Profit-Organisation UniversalAutomation.Org gegründet. Mitglieder sind neben namhaften Industrieunternehmen auch Hersteller, OEMs, Systemintegratoren, Start-Ups und Universitäten. In Form einer Shared Source (nicht Open Source) verwaltet und pflegt die Organisation die Referenzimplementierung einer auf IEC61499 basierenden Runtime-Umgebung, die sozusagen als hardwareübergreifendes Betriebssystem für Automatisierungskomponenten fungiert.
Was es natürlich dann für die Modellierung von automatisierten Anwendungen noch braucht, ist ein Engineering-Tool, das den Anforderungen eines softwarezentrierten und herstellerunabhängigen Automatisierungsparadigmas gerecht wird. Als erster und einziger großer Hersteller der Branche hat der Tech-Konzern Schneider Electric bereits im Jahr 2020 ein solches Softwaretool auf den Markt gebracht.
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