Ganz gleich ob im Energiesektor oder in der Industrie – Zuverlässigkeit spielt stets eine zentrale Rolle. Doch während das zum Beispiel in der Industrie bedeutet, dass Anlagen verlässlich laufen, damit Kunden ihre Waren erhalten, hat der Begriff im Energiesektor eine gänzlich andere Tragweite. Läuft im Energiesektor etwas nicht verlässlich, bedeutet das im besten Fall noch, dass lediglich ein Haus ein paar Minuten ohne Strom ist. Doch im schlimmsten Fall kann es den Ausfall kritischer Infrastrukturen bedeuten. Schon daher lässt sich der Energiebranche eine gewisse Risikoaversion attestieren – man setzt gerne auf bekannte Technologien, um Zuverlässigkeit zu gewährleisten.
Eine Branche im Umbruch
Gemessen daran sind die Entwicklungen, die in den vergangenen Monaten angestoßen wurden, bemerkenswert. Denn: die Branche erlebt die größten Veränderungen der vergangenen 40 Jahre. Die prominenteste Veränderung war dabei sicherlich die Novellierung der europäischen F-Gase-Verordnung, die den Einsatz fluorierter Treibhausgase künftig streng reguliert. Eines der Resultate dieser Verordnung ist das künftige Verbot von Schwefelhexafluorid (SF6) in der Mittelspannung. Dieses synthetische Treibhausgas bringt zwar Eigenschaften mit sich, die es für einen Einsatz als Isoliergas in der elektrischen Verteilung hervorragend eignet, hat jedoch auch den entscheidenden Nachteil, das stärkste bekannte Treibhausgas zu sein – immerhin liegt sein GWP (Global Warming Potential) bei 25.200. Zur Verdeutlichung: Ein Kilo SF6 ist 25.200-mal so potent wie ein Kilo CO2. Ein Verbot des Gases war daher unausweichlich.
Es war absehbar, dass diese Novellierung der F-Gase-Verordnung kommen würde. Und auch der vorgegebene Zeitrahmen ist, im Kontext der übergeordneten Strategie, Europa bis 2050 klimaneutral zu gestalten, eigentlich keine Überraschung. Und doch geraten Planer und Betreiber von Schaltanlagen und Verteilnetzen jetzt unter Druck. Denn die Fristen lassen nicht mehr viel Zeit, um geeignete – und das bedeutet vor allem zuverlässige sowie praxiserprobte – Alternativen zu finden.
Mittelspannung ohne SF6
Von Januar 2026 an darf in neuen Mittelspannungsschaltanlagen bis einschließlich 24 kV kein SF6 mehr verwendet werden; im Januar 2030 werden Schaltanlagen bis einschließlich 52 kV folgen. Das bedeutet, dass neue Anlagen, die auf eine Isolierung mit SF6 setzen, noch vor dem Datum des Verbots in Betrieb genommen werden müssen – also geliefert, installiert, angeschlossen und getestet. In einem Bereich, in dem Projektlaufzeiten von zwei Jahren eher Regel als Ausnahme sind, ist daher klar, dass viele Projekte neu geplant werden müssen. Denn ist die Zeit hier zu knapp bemessen, besteht das Risiko, dass eine rechtzeitige Inbetriebnahme nicht mehr möglich ist.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Selbstverständlich gibt es einige Ausnahmen des Verbots. So ist es etwa möglich, eine sich bereits in Betrieb befindliche, SF6-basierte Anlage an einen anderen Standort innerhalb der Europäischen Union zu verlegen (Second Hand-Verwendung) – in solch einem Fall ist eine umfassende Dokumentation verpflichtend. Auch wird die Möglichkeit eingeräumt, bei installierten Schaltanlagen einzelne Schaltfelder auf SF6-Basis zu erweitern, sofern es keine Lösung ohne das Treibhausgas gibt, die mit der Schalttafel kompatibel ist. Wichtig zu beachten ist noch, dass die Wartung, Reparatur und Erweiterung in einer installierten Basis mit SF6 zwar möglich ist, dabei jedoch ab 2035 nur solches Gas eingesetzt werden darf, das beim (End-of-Life) Recycling von Altanlagen gewonnen wurde.
Diese Ausnahmen zeigen, dass auch über das Stichdatum des Verbots hinaus mit SF6. gearbeitet werden kann. Dabei betrifft die novellierte F-Gase-Verordnung nicht nur SF6. Daneben gibt es eine Reihe anderer fluorierter Gase, die sich für die Isolierung in Schaltanlagen eignen – und auch diese unterliegen künftig starken Beschränkungen. Innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Verbot kann eine Lösung mit fluorierten Gasen mit einem GWP < 1000 genutzt werden, sofern es keine Angebote für Anlagen ohne F-Gase gibt oder nur ein einzelner Hersteller solche Schaltanlagen anbietet. Nach Ablauf der zwei Jahre dürfen zwar noch Anlagen mit fluorierten Gasen verwendet werden, jedoch nur sofern es keine Alternativen ohne F-Gase gibt.
Reine Luft für Stromnetze der Zukunft
Glücklicherweise haben wir uns bei Schneider Electric schon früh mit der Problematik um SF6 auseinandergesetzt. Heute verfügen wir bereits über eine umfassende Expertise sowie ein stetig wachsendes Schaltanlagenportfolio mit dem die primäre und sekundäre Verteilung der Mittelspannung ganz ohne Treibhausgase möglich ist. Statt diesen setzten die Anlagen der AirSeT-Reihe auf eine Isolierung aus gereinigter und getrockneter Luft, während die Lasttrennung über unsere patentierte Shunt-Vakuum-Schaltung (SVI) erfolgt. Ansonsten verfügen die Anlagen über die gleiche Funktionalität wie alte Modelle. Die Serienproduktion dieser Schaltanlagen ist längst gestartet und die Produktionskapazitäten für den europäischen Markt bereits deutlich hochgefahren.
Dem liegt zugrunde, dass die dahinterliegende Technologie bereits praxiserprobt ist und zuverlässig funktioniert. Schon heute sind Anlagen der AirSeT-Reihe verlässliche Komponenten eines regulären Netzbetriebs. Sei es im Rahmen einer Quartierslösung in Monheim am Rhein, in einer Ortsnetzstation des Kölner Energieversorgers RheinEnergie oder sogar in einem gänzlich SF6-freien Umspannwerk der ED Netze GmbH, um nur einige Beispiele zu nennen. Übrigens: auch für Industrieanwendungen sind diese Schaltanlagen interessant.
Digitalisierung bringt die Wende
Im Gesamtkontext der Energiewende – in dem die novellierte F-Gase-Verordnung ja steht – haben die Anlagen der AirSeT-Reihe neben ihrem klimaverträglichen Betrieb einen weiteren, nicht unwesentlichen Vorteil: In ihnen sind digitale Komponenten wie Sensorik und Gateways standardmäßig verbaut. Damit bringen sie alle Voraussetzungen mit, um die Energieflüsse auf den unteren Netzebenen granular abzubilden und so die Digitalisierung der Stromnetze voranzutreiben. Eine essentielle Grundlage, um beispielsweise dezentrale Erzeuger bedarfsorientiert in den Netzbetrieb zu integrieren. Und der Bedarf ist da: Im ersten Halbjahr 2024 stammten mehr als 60 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien – Tendenz steigend! Zudem wird mit der Digitalisierung der Netze auch die Basis für eine bessere Steuerbarkeit der Energieversorgung geschaffen. Mit §14a EnWG durchlebt die Energiebranche aktuell schließlich eine weitere große Änderung, aber dazu später mehr.
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