Maschinensimulation – Was ist ein digitaler Zwilling?

Die Digitalisierung beschleunigt auch die Globalisierung, so kann Schneider Electric dank Simulationstechnik weltweit Maschinen programmieren ohne physisch vor Ort zu sein. Was die Maschinensimulation für Maschinenbau und Produktionstechnik in der Industrie 4.0 bedeutet und wieso der digitale Zwilling so wertvoll ist, weiß unser Experte Toni Schneider.

Hallo Toni. Heute geht es um Simulationstechnik im Maschinenbau. Können Sie mir, einem Laien, einmal erklären was das bedeutet?

Die Maschinensimulation benutzen wir bei Schneider Electric, um Software für eine Maschine zu schreiben, ohne dass wir diese Maschine vor Ort haben. Das kann zum Beispiel Automatisierungssoftware sein. Der Aufbau der Maschine ist dabei bekannt, beispielsweise weiß ich wie viele Motoren es gibt und wo sie sitzen. Es gibt auch eine CAD-Zeichnung dieser Maschine, ich habe sie nur nicht physisch vor Ort. Trotzdem kann ich unter diesen Voraussetzungen mit den richtigen Tools für das Gerät die Steuerungs-Software schreiben.

Wie läuft das genau ab?

Es gibt einen Simulations-PC, der genau die Abläufe in der Maschine nachempfinden kann. Wenn ich also die Steuerungs-Software, die ich gerade programmiert habe, an diesen PC anschließe, spiegelt dieser jede Reaktion der Maschine, auf der meine Software einmal laufen soll. Ich weiß genau wie jedes einzelne Bauteil reagiert oder reagieren wird, wenn die Maschine irgendwo aufgebaut ist.

Viele Monitore, doch programmiert wird für eine Maschine, die tausende Kilometer entfernt steht

Schneider Electric kann also Software für eine Maschine programmieren, die tausende Kilometer entfernt steht oder noch nicht einmal aufgebaut ist?

Was wir machen ist eine Reaktion auf die Globalisierung. Unsere typischen deutschen Maschinenbauer verlagern ihre „Brot-und-Butter-Maschinen“ gerne in die Schwellenländer, wie China, Indien oder Brasilien. Ich sage etwas ketzerisch „Brot-und-Butter“, weil diese Maschinen in großer Stückzahl gebaut werden, die aber auch sehr eng in der Kostenbetrachtung sind. Wird das Gerät nun in China aufgebaut, kann man die dazugehörige Software natürlich vor Ort programmieren. Einfacher ist es aber dies in Deutschland zu tun und über ein Modem oder mit einer SD-Karte das fertige Programm direkt einzuspielen.

Warum nutzt man die Simulations-Software gerade bei solchen Brot-und-Butter-Maschinen?

Diese Maschinen werden mit einer Stückzahl von mehr als 500 im Jahr gefertigt. Die laufen dann für 6 bis 10 Jahre und dann hat sich die Investition abgezahlt. Unser Vorteil ist nun, dass diese Maschinen nur wenig verändert werden, nur die Software wird aktualisiert, auch hinsichtlich Effizienzkriterien und technologischer Weiterentwicklungen. Die Maschinen können so in einem Land, in dem günstig produziert wird, stehen. Am Innovationsstandort Deutschland schreiben wir die passende Software und müssen dank der Simulations-Software dafür nicht mal vor Ort sein.

Das klingt nicht direkt einfach. Was ist denn die Herausforderung bei der Arbeit mit Simulationen?

Das ist immer eine Zusammenarbeit mit einem Maschinenbauer und der Firma, die den Simulations-PC erstellt. Noch mal: Der Simulations-PC ist reine Software, in die eingespielt wurde, wie zum Beispiel ein Motor in der Maschine reagiert. Wenn ich dem PC sage: „Motor starte mal mit einer Geschwindigkeitsrampe von 0 auf 100 Prozent“, dann sagt mir der PC, dass das zwei Sekunden dauert. Das muss ich der Software erst einmal beibringen, damit sie alle Reaktionen, die die Maschine auch tatsächlich abgeben würde, einprogrammiert hat.

Auf der anderen Seite muss eine Steuerungs-Software geschaffen werden, mit der Befehle an die Maschine gegeben werden können. Das sind im Grunde also zwei Programme! Der Maschinenbauer programmiert mit der Steuerungssoftware die Aktion, der Hersteller des Simulations-PCs die Reaktion. Zu Beginn einer neuen Maschinengeneration ist das ein doppelter Aufwand.

Simulationen gewähren einen Blick in den digitalen Zwilling einer Maschine

Und der Aufwand lohnt sich?

Ja, dafür können, wenn der Simulations-PC einmal fertig ist, von überall neue Optionen und Upgrades in die Steuerungs-Software eingebaut werden. Das heißt, ich kann hier in Deutschland an meinem Schreibtisch sitzen und eine Steuerungs-Software programmieren, die ich dann an meinem Simulations-PC testen und alle Reaktionen auf meine Software bekommen kann. Ich kann also eine Maschine komplett ausprogrammieren, ohne sie jemals de facto gesehen zu haben.

Kann es nicht passieren, dass die virtuelle Maschine sich am Ende doch anders verhält, als die Maschine in der realen Fabrikhalle?

Ja, die reine Maschinensimulation geht von einer idealen Maschine aus. Wenn ich sage: „Bitte beschleunige von 0 auf 100 Prozent in zwei Sekunden“, wird mir der Simulations-PC diese Beschleunigung ideal zeigen. Jetzt kann es in der realen Maschine sein, dass die Motoren so ausgelegt sind, dass ein bestimmtes Gewicht in der Maschine den Motor zu sehr stresst und er diesen Idealwert nicht einhalten kann. Solche dynamischen Prozesse umfasst die Maschinensimulation noch nicht. Der Stand der Technik kann mir momentan noch nicht sagen, ob eine Maschine in der realen Welt bei zu hoher Beschleunigung durch die Halle hüpft.

Wie löst man dieses Problem?

Dazu nutzen wir am Markt frei verfügbare Software für dynamische Prozesse, die wir dann mit der Maschinenlogik kombinieren. Dieses Programm kann berechnen, was passiert wenn ein Gewicht mit einer bestimmten Beschleunigung hin und her bewegt wird: Geht die Maschinenhalterung kaputt oder hüpft die Maschine?

Was glauben Sie, wo steht diese Technik in 5 bis 10 Jahren? Wohin geht der Trend?

Im Verband für Maschinen und Anlagenbau (VDMA) wird schon länger diskutiert, ob nicht unterschiedliche Konstruktionstools zusammenschmelzen können: Also die mechanische Zeichnung, gemeinsam mit einer elektrotechnischen Konstruktion, zusammen mit einer Standardfunktion als Modul. Eine Standardfunktion wäre zum Beispiel die Maschine soll „abwickeln“ oder „schneiden“ oder „pressen“. Die Zukunftsvision ist folgende: Mein Kunde bestellt bei mir in einem Formular eine Maschine aus drei Modulen. Er benötigt eine Maschine, die Stoff erst abwickelt, dann zuschneidet und dann presst. In dem Moment, in dem er das bestellt, erstellt eine Software direkt und automatisch die elektrotechnische Auslegung eines Schaltschranks und die Erstellung der Maschinensoftware. Das ist die Vision –da sind wir noch ein paar Jahre von entfernt, aber der Weg geht ganz klar dort hin.

Was müsste ich denn gelernt haben, um bei Schneider Electric mit solcher Technik zu arbeiten?

Noch das übliche: Das geht los mit dem reinen Techniker oder Ingenieur, der im Grunde eine Maschine von der mechanischen Seite konstruiert. Dann ist das ganze Thema Elektrokonstruktion, Schaltschrankbau etc. wichtig. In Zukunft wird selbstverständlich der gesamte IT-Bereich relevant, egal ob nun Bachelor oder Master. Das werden die Hauptakteure in dem Bereich sein. Aber da ist noch nicht Schluss! Wenn ich weiß, wie sich eine Maschine bewegt und wie diese aufgebaut ist, dann weiß ich auch wo sie gefährlich wird. Wir brauchen Leute, die sich mit funktionaler Sicherheit befassen, damit sich niemand beim Bedienen der Maschine verletzt. Früher war das kein Thema bei Schneider Electric, als wir noch ein reiner Elektrohersteller waren, heute sind diese Berufe im Fokus, da wir Maschinen von A bis Z planen.

Toni vielen Dank für die Zeit.

Ich danke auch!

 

Zur Person:

Toni Schneider

Toni Schneider ist Teil des Mehrwertteams bei Schneider Electric. Fachgebiet: Alles mit Vernetzung, IoT, Digitalisierung und Industrie 4.0. Sein Anspruch ist innovativ zu sein, zukunftsweisend, und einen Schritt weiterzudenken. „Das Ziel ist es, nicht nur Kundenwünsche zu erfüllen, sondern immer noch etwas oben drauf zu legen.“ Mehr von Toni lest ihr hier und hier.

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